Im Herbst 2015 lernten Ricarda Braun und ich den Schäfer Martin Winz kennen. Er ist einer der wenigen Hirten, in unserem Umland, der noch jeden Tag, sieben Tage die Woche, von März bis Dezember bei seiner Herde im Freien steht und seine Schäfchen hütet. Seine „Schäfchen“, das waren damals 450 trächtige Schafe. Am 6. Dezember führte er sie heim in den Stall in Krosigk. Ich hatte an jenem Nikolaustag das Glück, Herrn Winz zu begleiten. Bei schönstem Winterwetter liefen wir über Felder, Wiesen und Dörfer und kehrten heim. Das Jahr neigte sich. Am 24. Dezember feierte Martin Winz mit seinen Söhnen (die ebenso Schäfer sind) und mehreren Hunderten Menschen gemeinsam Gottesdienst im Stall von Krosigk.
Nach der Silvesternacht begann das neue Jahr.
Für Martin Winz bedeutete das, wie jedes Jahr, den Umzug in sein Januarlager. Er hat sein Zimmer im Stall bezogen. Die Wände sind gelb gestrichen, der Raum ist klein und spartanisch eingerichtet. Darin befinden sich ein Tisch, zwei Stühle und eine Pritsche. Aller zwei Stunden steht Martin Winz in der Nacht auf und schaut nach seinen Tieren.
Als wir an diesem Freitag, den 15. Januar 2016, den Stall betreten, haben einige Schafe schon gelammt. Mit ihren Lämmern liegen sie in kleinen, für sie abgetrennten Boxen.
Wie bei uns Menschen gibt es auch bei den Schafen verschiedene Arten von „Müttern“. Da ist das Schaf, das zum ersten Mal lammte und sich bei unserem Annähern sofort beschützend vor ihre Jungen stellt. Doch es gibt auch eine „Rabenmutter“, die ihr Lamm ignoriert. „Das treib ich ihr aber aus“, sagt Winz und erzählt, wie ein paar Tage reichen, dass die Mutter ihr Junges versorgt.
Dass eine Geburt bevorsteht, erkennt der erfahrene Schäfer am Verhalten seiner Schäfchen. „Dann wird das Schaf unter anderem unruhig“, weiß Winz.
Im Stall fanden auch die Esel einen Platz für den Winter und die Ziegen aus der Herde seines Sohnes. Eine Ziege hatte gerade kurz vor unserer Ankunft Zwillinge entbunden.
Sie wollen nicht recht trinken, also hilft Martin Winz den kleinen Zicklein. Ich halte die Ziege und er schnappt sich ein Kleines. Aus dem prallen Euter der Ziege spritzt die Milch auf seinen blauen Kittel. „Komm her, du Dummerchen“, sagt er und hilft dem Kleinen immer wieder die Zitze der Mutter zu finden. „Na siehste, geht doch“, meint er, als es nach mehreren Versuchen endlich klappt.
Wir gehen in sein „Büro“. Dort schenken wir ihm das Foto einer Diakonisse, auf welchem sie ihr Kreuz in den Händen hält. Danach hatte mich Winz bei der Heimkehr im Dezember gefragt. Als Erinnerung gebe ich ihm auch den Text über das Heimführen der Schafe.
Zu unserer Freude setzt sich Martin Winz dann an das Spinnrad, welches auch in dem kleinen Raum steht. „Sie können wohl nicht spinnen?“, fragt er uns schelmisch. Er lernte das Spinnen einst von seiner Mutter und nun zeigt er uns, wie er die Wolle seiner Schafe zu Fäden spinnt. Es hat etwas Ruhiges, fast Meditatives, wie er so da sitzt und die Fäden durch seine Hände zieht. Doch es sei auch „mühselig“, meint er. Vier Stunden sitzt Winz an einer Spindel, Zwei braucht er für ein Bund Wolle von 60 Gramm.
Das neue Jahr hat begonnen. Hier im Stall überwiegt die Hoffnung, die durch neues Leben kam. Es ist ein Neubeginn für Martin Winz. Im März wird er wieder raus auf die Weiden gehen. Im Mai wird dann ein Teil der Lämmer folgen.
Als wir rausgehen, entdecken wir ein Einrad, das an einer Wand lehnt. „Ich habe was gegen Präsentkörbe“, erzählt uns Martin Winz. Uns laufen vor Lachen die Tränen über die Wangen, als er uns erzählt, wie er in Vorahnung der Präsentkörbe und Blumen anlässlich seines 65. Geburtstages eine Idee hatte: er stellte ein Glas hin und bat seine Gäste „jeweils eine Mark“ in das Glas zu tun. Von dem Geld kaufte er sich das Einrad. „Und wenn die Biester hier etwas größer sind, dann setz ich mich wieder auf mein Einrad und drehe hier draußen auf den Platten meine Runden.“
Wir haben schon beschlossen: dann kommen wir wieder und gucken zu.
Das neue Jahr hat begonnen. Ein Jahr voller Hoffnung, das wir zu einem Neubeginn gestalten können.
Ricarda Braun und Berit Ichite danken Martin Winz. Worte können kaum beschreiben, wie sehr wir die Zeit mit ihm und seinen Tieren schätzen.
(Text: Berit Ichite, Fotos: Ricarda Braun)